Umgang mit Fernseher und Computer
Untersuchungen in Bayern, Hessen und Niedersachsen haben ergeben, dass jedes zweite Kind im Alter von zehn Jahren die ganze Palette von Fernsehgerät, Computer, Play Station und DVD-Recorder im eigenen Kinderzimmer stehen hat. Bis zu 80 Prozent der Jungen verbringen 30 bis 40 Stunden in der Woche vor dem PC-Bildschirm. Diese Zahlen verdeutlichen die Relevanz des Themas.
Beides, Fernseher und Computer, sind wertvolle Kommunikationsmedien und ermöglichen auch schöpferische Aktivitäten. Im Folgenden geht es deshalb nicht darum, sie zu verteufeln. Vielmehr sollen nachstehende Informationen Ihnen helfen, sachgemäß einzuschätzen, wieviel und wann solche Medien Ihren Kindern bekömmlich sind.
Früher und intensiver Umgang mit moderner Kommunikationstechnik verändert die Denk- und Wahrnehmungsweise:
Das Verhältnis zur Zeit ändert sich. Da am Bildschirm virtuelle Spiele rasend schnell ablaufen, kommt den Kindern die Realität (z.B. in der Schule) vor wie „in Zeitlupe". Das hat zur Folge, dass die Kinder im Unterricht immer neue, hyperaktive und videoclipartige Sensationen erwarten.
Wie Fernsehen und Computerspiele geistige Prozesse verändern, hat die Medienpsychologin Herta Sturm vor einigen Jahren untersucht. Unser reales Leben, stellt sie fest, zeichnet sich durch zahlreiche winzige Pausen aus. Wir atmen, wir drehen den Kopf, wir gehen zur Tür, zum Fenster und so weiter. In diesen Auszeiten benennen wir das Geschehene, fügen es in unsere Innenwelt ein und bereiten uns so auf Kommendes vor. Vor dem Bildschirm dagegen wird der Betrachter von Bild zu Bild, von Situation zu Situation getrieben, ohne Zeit zum Verarbeiten. Im Gedächtnis bleiben nur diffuse emotionale Eindrücke, es findet keine Selbstreflexion statt, der Inhalt der Bilder kann später schlecht oder gar nicht wiedergegeben werden.
Hinzu kommt, dass Kinder in ihrem Inneren keine originalen Bilder formen oder bildhafte Vorstellungen entwickeln können, weil sie von künstlichen Bildern überflutet werden.
In unserem Zusammenhang ist besonders interessant, dass sich im virtuellen Raum keine körperbezogenen Erfahrungen machen lassen. Die Wahrnehmungen werden zwar im Gehirn gespeichert, nicht aber im Körper. Schon heute finden an einigen Universitäten der USA spezielle Kurse für Ingenieurstudenten statt, die in der Kindheit nicht genügend taktile, räumliche und mechanische Erfahrungen gemacht haben. Prof. Henry Petroski nennt diese Kurse „Nachhilfekurse im Spielen" mit realen Gegenständen.
Viele Eltern befürchten, den Kindern den Start in die Zukunft zu vermasseln, wenn diese nicht schon im frühkindlichen Alter und in der Grundschule den Umgang mit Computern lernen. Der englische Pädagogik-Forscher Martin Large betont jedoch zu Recht: „Wer mit 10 Jahren das erste www tippt, hat nichts verpasst." Es scheint sogar, dass zu frühes und exzessives Nutzen von TV und Computer selbst unter den Gesichtspunkten von Bildung und Ausbildung schaden: Auf dem Jahrestreffen der amerikanischen Space Foundation 2002 klagten die Experten, die heranwachsende Generation sei für die Hochtechnikbranche wenig zu gebrauchen. Abstraktionsvermögen, Vorstellungskraft, Phantasie und die Gabe zum Querdenken seien unter den heutigen Kindern und Jugendlichen selten geworden. Ursache sei (so entsprechende Untersuchungen) das stundenlange Hocken vor dem PC oder dem TV. Die Nervenzellen der betroffenen Kinder würden sich anders verknüpfen. Auch der aktive Wortschatz verkümmert offenbar: In den fünfziger Jahren hatte ein 14jähriger Amerikaner noch einen Wortschatz von 25.000 Wörtern, heute sind es nur noch 10.000.
Der Magdeburger Professor für Neurobiologie, Henning Scheich, erklärt in einer Studie, das in der Schule Gelernte könne sich nicht im Gehirn festsetzen, wenn es von den Fernseh- und Videobildern der Computerspiele ständig überlagert würde.
In den USA ist im Jahr 2000 eine Studie über Kinder an Computern erschienen („A Fools Gold:
A Critical Look at Computers in Childhood"). Kinder bis zum Alter von zehn Jahren, die lange vor dem Computer sitzen und die nicht eben kindgerechten Tasten drücken, würden später überdurchschnittlich häufig vom so genannten Repetitive Strain Injury Syndrom geplagt. Die Symptome sind Sehnenscheidenentzündungen und Muskelverkümmerung, was in der Folge die Arbeit am Computer unmöglich machen kann. Nach Erscheinen der Studie forderten 750 bekannte Forscher ein Moratorium für den Einsatz von Computern in früher Kindheit und in der Grundschule.
Um die Jugendlichen vom Bildschirm wegzubekommen, setzen Pädagogen wie Dr. Bruno Sand-kühler auf die Stärke der Familie in Form gemeinsamer Unternehmungen. Und: Ein Fernsehgerät sollte generell nicht im Kinderzimmer stehen.
Quellen:
Susanne Paulsen, Cyberkids - Begegnung mit einer flüchtigen Spezies, in: Geo Wissen April 2003
Spiegel 21/2002, S.184
Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Hannover 2003
Dr. Bruno Sandkühler (Pädagoge und Mitglied des Europarats), 2004
mit freundlicher Genehmigung von Hans Georg Brecklinghaus aus "Rolfing - Strukturelle Integration für Kinder und Jugendliche" Lebenshaus Verlag